Konduktive Förderung ist ein komplexes Fördersystem, das von dem ungarischen Arzt András Pető ursprünglich für Menschen mit cerebralen Bewegungsstörungen unter der Bezeichnung Konduktive Erziehung und Konduktive Pädagogik entwickelt wurde.
Grundlagen und Geschichte
Der Begriff wurde von Karin S. Weber im Rahmen des ersten deutschen Pilotprojektes (1990 - 1992) zur Konduktiven Förderung abgewandelt und hat sich so im deutschsprachigen Raum etabliert. Die Konduktive Förderung versteht sich als untrennbare Einheit von Pädagogik und Therapie. Die motorische Förderung ist nur ein Teil des Konzepts, in dem der behinderte Mensch in seiner sozialen, emotionalen, sprachlichen und kognitiven Kompetenz gefördert wird. Im Mittelpunkt steht nicht die Behinderung eines Menschen, sondern seine Persönlichkeit. Die Behinderung wird als eine Lernstörung gesehen, die überwunden werden kann, aber nicht heilbar ist.
Pető hat das Berufsbild des Konduktors bzw. der Konduktorin geschaffen, das in Ungarn 1963 staatlich anerkannt wurde. Abgeleitet von lateinisch conducere ‚zusammenführen‘, führt der Konduktor bzw. die Konduktorin die verschiedenen Kenntnisse aus den einzelnen pädagogischen, therapeutischen und medizinischen Bereichen zu einem individuellen Konzept zusammen. Nach der staatlichen Anerkennung und Angliederung an das Kultusministerium konnte 1965 auch ein heute vierjähriges Hochschulstudium zum Konduktor/zur Konduktorin etabliert werden. In Ungarn, England und Israel werden heute Konduktoren und Konduktorinnen in einem Hochschulstudium ausgebildet. Seit dem Wintersemester 2017/18 wird in Nürnberg ein Bachelor- Studiengang Heilpädagogik mit Studienschwerpunkt Konduktive Förderung angeboten.
Die Konduktive Förderung breitet sich auf der ganzen Welt aus und in jedem Land müssen Anpassungen an die länderspezifischen Systeme vorgenommen werden. In Deutschland wurde 1990 bis 1992 im Auftrag des BMA das erste Pilotprojekt in der Taunusklinik durchgeführt und von Karin S. Weber wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Ab 1994 verbreitete sich die Konduktive Förderung durch betroffene Eltern in den Medien. Zahlreiche Elterninitiativen und Vereine entstanden. Für die Eltern steht im Vordergrund, dass ihre Kinder nicht als „personifiziertes Defizit“ wahrgenommen werden, sondern als „Mensch, der wachsen und sich entwickeln kann.“ Eltern engagieren sich in Deutschland für die Entstehung vielfältiger Angebote, in deren Rahmen die Konduktive Förderung ausgeübt werden kann,sowie für ihre Verbreitung und Anerkennung.
Grundlagen Petös
Petö verstand seinen Ansatz als „Zusammenführung von Sprache und Bewegungslernen im Dienst neuronaler Veränderung“. Er ging davon aus, dass die Plastizität des Gehirns eine Kompensation der Hirnschädigung möglich macht. Die moderne Hirnforschung hat nachgewiesen, dass man unter Plastizität verstehen kann, dass „multiple Teilfunktionen oder ganze Funktionen erhalten bleiben, wenn sie von der Läsion nicht berührt werden, durch eine ähnliche Funktion ersetzt werden können oder sich über einen Umweg innerhalb der neuronalen Verschaltung bemerkbar machen können“. Die Ursache der Bewegungsstörung kann von keinem Therapiemodell korrigiert werden.
Die zerebral bedingte motorische, sensorische oder Mehrfachbehinderung kann sowohl angeboren als auch später erworben sein. Der sensorische, motorische, psycho-soziale und kognitiv-sprachliche Entwicklungsprozess, der beim nicht behinderten Säugling scheinbar automatisch in Gang kommt, ist bei einer zerebralen Schädigung des Gehirns nicht ungehindert zu erwarten oder bestimmte Fähigkeiten sind nicht verfügbar. Das vorhandene, meist reflektorische Repertoire kann nicht weiter ausgebaut werden und dysfunktionale Bewegungsmuster und Verhaltensweisen bauen sich auf. „Eine Schädigung des Zentralen Nervensystems wirkt sich als Lernhindernis aus, das alle Entwicklungs-/Lernprozesse beeinflusst und somit die ganze Persönlichkeit erfasst.“ Akzeptiert man diese Sichtweise, würde das bedeuten, dass bei frühzeitiger Förderung neue, adäquate Bewegungsmuster erlernt und ausdifferenziert werden können.
Pető war der Überzeugung, dass man die motorischen Entwicklungsprozesse nicht von anderen Entwicklungsbereichen loslösen kann. Förderung musste seiner Ansicht nach vernetzt sein und Wahrnehmung, Sprache, Kognition und Motorik umfassen. Das Ziel war, die Lebenswirklichkeit des Kindes mit dem Bewegungslernen zu verknüpfen: „… die Therapie, egal wie gut sie ist, [hilft nicht], wenn sie nicht in alle Bereiche des Lebens eingebettet wird". Damit stand Pető im Gegensatz zu damals gängigen Therapieauffassungen, die nur eine „äußerliche Behandlung der Bewegungsbehinderung ohne Eigenbeteiligung des Patienten“ kannten.
Ziele der Konduktiven Förderung
Das wichtigste Ziel der Konduktiven Förderung ist es, die sogenannte Orthofunktion des Menschen mit Behinderung zu erreichen. Die Orthofunktion im Sinne von Pető bedeutet abhängig von der Schwere der Behinderung die maximale Unabhängigkeit von Hilfsmitteln und/oder fremden Personen zu erreichen. Die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung wird angestrebt. Pető war der Meinung, dass die Beeinträchtigung der Orthofunktion die Folge der Schädigung des Zentralen Nervensystems ist, wobei sich die entstandene Bewegungsstörung als Lernhindernis darstellt, die kompensiert werden kann. Das soll erreicht werden, indem die Eigenaktivität der Kinder und Jugendlichen gefördert wird, um individuelle Ziele zu erreichen. Nicht die alters- oder intellektbezogenen Defizite sollen konstatiert, sondern die Entwicklungsmöglichkeiten ins Auge gefasst werden. Um von der Dysfunktion zur Orthofunktion zu gelangen ist eine ganzheitliche Intervention notwendig. Als Rehabilitationsziele werden verfolgt:
Methodik
Die konduktive Fazilitation umfasst alle mentalen, verbalen, manuellen und materiellen Hilfen und Hilfsmittel, die eingesetzt werden, um Eigeninitiative und zielgerichtete Aktivität zu erzeugen. Nach Weber, 1998, S. 112, kann Fazilitation in vier Formen eingeteilt werden:
Die von der Lerngruppe ausgehende Dynamik wirkt motivierend auf die Kinder und Jugendlichen. Es werden nach Möglichkeit Kinder, Jugendliche oder Erwachsene ähnlichen Alters, aber unterschiedlicher motorischer Fähigkeiten zusammengefasst, um eine dynamische, aktive Gruppe zu erhalten mit vielfältigen Möglichkeiten des Austauschs und der Nachahmung. Die konduktive Gruppe ist als Hilfe zum Aufbau eines adäquaten Lernverhaltens, als Raum für Identitätserfahrung und sozialer Aktivität gedacht. Im organisierten und gleich bleibenden Tagesablauf liegt der Schwerpunkt auf motorischen, kognitiv-sprachlichen und kreativen Programmen, die auf das Erlernen von lebenspraktischen Fähigkeiten ausgerichtet sind: Hände waschen, Toilette, Essen, Trinken, An- und Ausziehen u.v.m. In den Fördereinheiten während des Tagesablaufs werden zum Beispiel Platz- und Positionswechsel, grob- und feinmotorische Bewegungsabläufe, Koordination und Wahrnehmung mit altersgerechten kognitiven und pädagogischen Inhalten geübt. Im rhythmisch kontinuierlichen Intendieren wird durch den Einsatz von Sprache zugleich Zielsetzung, Handlungsanleitung und Selbststeuerung erreicht. Einfache, multifunktional verwendbare Pető-Möbel unterstützen den Lernprozess.
Quelle: Wikipedia: Konduktive Förderung nach Petö (Auszüge)